Faltenkiller, Glücklichmacher, Jungbrunnen – sogar Schmerzen soll er lindern. Laut Studienlage ist Sex ein Multitalent. Wir haben mit der renommierten Paar- und Sexualtherapeutin Dr. Beatrice Wagner über ihre Praxis-Erfahrungen gesprochen.
Sie haben zusammen mit dem Hirnforscher Ernst Pöppel und dem „Aufklärer der Nation“ Oswalt Kolle Bücher über Lust und Liebe geschrieben. Können Sie auch aus Ihrer Arbeit als Sexualtherapeutin bestätigen, dass Sex ein Jungbrunnen ist?
Absolut! Schöner erfüllender Sex macht nicht nur Spaß, sondern hält auch noch jung. Wahrscheinlich ahnen wir dies, wenn wir uns nach dem Sex so wunderbar entspannt und mit uns im Reinen fühlen. Vor einiger Zeit wollte es ein Psychologe aus Edinburgh nun genauer wissen. Er startete einen Aufruf, um besonders jung aussehende Menschen zu finden. Die 3500 Menschen, die ihm schrieben, sahen in der Tat zwischen fünf und sieben Jahre jünger aus als sie in Wirklichkeit waren. Ihre Gemeinsamkeit: Sie alle waren mit ihrem sexuellen Leben in den letzten Jahren sehr zufrieden. Von dem Jungbrunnen Sexualität profitierten vor allem die 40 bis 50jährigen, wenn sie mindestens dreimal Sex pro Woche hatten.
Wie macht man „es” denn richtig? Dreimal die Woche stärkt das Immunsystem, zweimal senkt das Risiko für Herzinfarkt?
Wenn wir die Statistik befragen, könnte das in etwa stimmen. Allerdings hängt es im Einzelfall von der Dauer und der Intensität des Sexualaktes ab. Ein Quickie hat weniger Anti-Aging-Wirkungen als langer ausgiebiger Akt mit mehreren Höhepunkten. Und natürlich bringt ein liebloses Rein-Raus-Spiel gar nichts. Sie sollten schon mit ganzem Herzen dabei sein.
Ist Sex als Jungbrunnen für Männer und Frauen gleich?
Aber natürlich profitieren zunächst einmal beide Geschlechter. Allerdings steht bei Männern oftmals der Leistungsdruck im Bett im Vordergrund, der wirkt kontraproduktiv. Und bei Frauen beobachte ich, dass sie den Sex oftmals einfach so über sich ergehen lassen, auch das hat wenig Wirkung. Um vom Jungbrunnen Sex zu profitieren, gilt für Mann und Frau, dass Hingabe an den Moment gefragt ist. Und dass die Probleme, die Sorgen, die Komplexe aus dem Schlafzimmer verbannt werden.
Was empfehlen Sie Paaren diesbezüglich in Ihrer Praxis?
Nehmen Sie sich Zeit für den Sex. Wenn Sie Kinder haben und / oder berufstätig sind, geht dies oft nur, wenn Sie die Stunden zu zweit bewusst einplanen. Und wenn bei Frauen die Lust nicht von Anfang an vorhanden ist, dann könnte ihnen ja der Gedanke an die Verjüngungskur helfen. Das meine ich übrigens ganz im Ernst. Frauen haben viele verschiedene Einstiegsmöglichkeiten in ihre persönliche Lust.
Was machen denn die Silver-Singles, die zwar keinen (Sex-)Partner haben, sich aber trotzdem gerne jung und sexy fühlen möchten?
Da kann ich nur empfehlen: Selbst ist die Frau oder der Mann! Und zwar regelmäßig, indem Sie denken, „Ich tue mir etwas Gutes “. Masturbation wirkt zwar nicht ganz so gut als Antiaging-Mittel wie gemeinschaftlicher Sex, weil hier das Kuschelhormon Oxytozin auf der Strecke bleibt, aber es ist immer noch deutlich besser als Enthaltsamkeit.
Welche körperlichen Merkmale werden durch ein erfülltes Sexleben gestärkt?
Beim Sex und beim Orgasmus wird ein bunter Hormoncocktail produziert, der auf viele Bereiche einwirkt. Für die Jugendlichkeit sind die Hormone Oxytozin und Prolaktin zuständig, beide wirken beruhigend und entstressend, und zwar nachhaltig. Eine elastische Haut wird durch die Wachstumsfaktoren namens HGH gefördert, die auch vermehrt ausgeschüttet werden. Die „Gut-fühl-Hormone“, sind natürliche Schmerzkiller und Angstlöser. Vasopressin, ein Hormon der sexuellen Erregung, wirkt vorbeugend für Herzinfarkt und Arteriosklerose. Zudem ist die körperliche Anstrengung gut für Herz und Kreislauf und sorgt etwa für eine frische leicht gerötete Haut. Und dann wird auch noch das Immunsystem angekurbelt.
Gibt es eine Altersgrenze für guten und damit auch gesundheitsfördernden Sex?
Machen Sie sich von der Vorstellung frei, es gäbe ein Verfallsdatum für Verliebtsein, Liebe und Sex. Alles Blödsinn! Die Lust und der Orgasmus werden im Kopf produziert und der funktioniert bis ins hohe Alter. Nur die Zeichen der Erregung, wie Feuchtwerden und Erektion, stellen sich mit den Jahren langsamer ein und auch nicht mehr in vollem Umfang. Hier aber gibt es Hilfsmittel. Eine Gleitcreme für die Frau, ein Stauring für den Mann. Der Stauring wird an der Peniswurzel angebracht, er lässt das Blut im Penis stauen. Ein kleines Bröselchen Viagra & co wirkt auch Wunder, die ganze Pille braucht es oft nicht. Genießen Sie die Möglichkeit, sich gegenseitig zu berühren, Zärtlichkeiten zu geben und zu empfangen, Sex zu haben, und denken Sie nicht daran, was andere Menschen dazu sagen könnten. Es ist Ihr Leben.
Welches Beispiel aus Ihrer Praxis fanden Sie besonders ermutigend?
Zum Beispiel den 67-jährigen Mann, der jetzt ein paar Mal zu mir gekommen jetzt, und mir jedes Mal strahlend von neuen sinnlichen Erlebnissen mit seiner Freundin berichtet. Er war bislang in Konventionen gefangen wie „Darf ich das? Macht man das? Was würden andere dazu sagen?“ Von diesen Fesseln hat er sich in den Therapiestunden befreit und nun machen die beiden, was sie selbst für richtig halten. Es ist für mich eine Freude, ihn so jugendlich und authentisch zu erleben. Genauso wie die 72-jährige Frau, die seit einem halben Jahr frisch verliebt ist. Sie fragte mich verwundert, wie es sein könne, dass ihr die Sexualität so viel Spaß mache. Dass sie erst jetzt tolle Orgasmen habe – und dabei wurde sie ein bisschen rot wie ein Teenager. Ich hätte sie umarmen können.
Dr. Beatrice Wagner ist eine erfahrene Paar- und Sexualtherapeutin. Sie praktiziert in München und in Icking. Außerdem ist sie Lehrbeauftragte für Medizinische Psychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Buchautorin. Gemeinsam mit Oswalt Kolle schrieb sie unter anderem das Werk „Sex – Die zehn Todsünden“. Mit dem Hirnforscher Ernst Pöppel verfasste sie den Bestseller „Je älter, desto besser”. Sie veröffentlichte außerdem: „Kein guter Sex ohne Unlust“. Dr. Wagner ist regelmäßig in Talkshows zu Gast und schreibt für verschiedene Magazine.
Foto: Dr. Beatrice Wagner
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